Die Weiße Schachtel
Barbara Romine, Leitende Herausgeberin von TBC
„Was sie haben nennt man invasives, duktales Karzinom." Der Rest des Arztbesuches war etwas wie ein nebelhafter Eindruck. Ich erinnere mich an seine Liebenswürdigkeit, als er mögliche Beeinträchtigungen der Lymphknoten diskutierte und Operationen und Behandlungspläne. Er teilte mir die Größe des Tumors und meine Alternativen mit. Meine Tochter Melissa saß da und machte treu Notizen für mich, weil sie wusste, dass ich nicht viel aufnehmen konnte. Ich durchstand den Rest der Verabredung, wobei ich gegen Tränen und Panik ankämpfte. Dann kam die Pflegekoordinatorin für Brustkrebsbehandlung herein und hatte eine weiße Schachtel mit einem Rosa Band in der Hand, das sie mir zusammen mit Anweisungen und einer Liste von Terminen aushändigte, die sie bereits mit einem Onkologen und anderen Ärzten zusammengestellt hatte.
Als ich heimkam öffnete ich vorsichtig die weiße Schachtel. Innerhalb des rosa Stoffes war eine DVD, eine Duftkerze, ein Lavendel Duftkissen, etwas Schokolade, eine Packung Papiertaschentücher, eine Broschüre und eine Liste der örtlichen Hilfsmittel für Krebspatienten, einschließlich der Information, wo man spezielle Unterwäsche und Perücken bekommt. Ich hielt meinen Atem an und schloss die Schachtel rasch. Tränen kamen mir wieder. Das war zu viel um darüber nachzudenken.
Wenige Tage später und nach einigen anderen Arztterminen saß ich auf dem Bett und wagte es, die Schachtel wieder zu öffnen. Dieses Mal nahm ich die Broschüre, die beschrieb, was eine Mastectomie war und was dann an Pflege zuhause folgen sollte. Die Broschüre erklärte, ich würde eine Weile Hilfe bei einigen Dingen benötigen, einschließlich einer Kanüle, die während der Operation eingesetzt würde, um den Brustbereich von überschüssiger Flüssigkeit zu befreien. Die Broschüre enthielt Strichzeichnungen von einer Frau, und zeigte, wie die Kanüle geleert wird. Schlicht gezeichnet war das Bild nicht anstößig, doch die Belastung war schrecklich. Da stand sie mit einer Brust und einer geraden Linie, wo die andere zuvor war. Es sah für mich in jeder Hinsicht wie das „Verbots" Symbol aus: Rauchen Verboten! Hunde Verboten! Brust Verboten! Mit Brechreiz kämpfend schloss ich die Broschüre, legte sie auf den rosa Stoff in der Schachtel und weinte. „Herr ich möchte nicht diese Frau sein! Ich kann sie nicht sein! Ich kann das nicht durchstehen!"
Schluchzend suchte ich Trost beim Herrn. Ich hatte so viele Dinge in der Vergangenheit durchgemacht und hatte Ihn immer als treu gefunden. Ich wusste, dass Er das zugelassen hatte, aber es ergab keinen Sinn für mich. Was sollte ich denn lernen? Warum jetzt? Er schien so still zu sein. Ich schob die Schachtel mit dem rosa Stoff unter das Bett, und hasste sogar ihren Anblick.
Als ich zuerst anfing, Schmerzen in meiner Brust zu haben, hatte ich es für mehrere Wochen ignoriert. Ich hatte erst Monate zuvor ein normales Mammogramm gehabt. Außerdem hatte ich gerade meiner kleinen Schwester geholfen, die wegen Brustkrebs durch eine Chemotherapie ging, und ich war sicher, dass ich „Mitleidsschmerzen" hatte oder erhöhte Aufmerksamkeit oder irgendwas. Aber dann entdeckte ich die Schwellung - deutlich bemerkbar. Warum hatte ich sie nicht früher gefunden? Ich machte einen Arzttermin aus und versuchte, nicht an das Schlimmste zu denken. „Vernunftschlüsse zerstören...." War das nicht, was 2 Korinther 10,5 sagte? Aber mein Arzt war beunruhigt. Seine Helferin nahm mich in den Arm und machte einen Termin für ein zweites Mammogramm. Immer noch nicht zu besorgt (was war die „Wahrscheinlichkeit", dass meine Schwester, die zehn Jahre jünger als ich ist und ich zur selben Zeit dieses Ding haben sollten?) ging ich zum Test. Es schaute nicht gut aus. Danach wurde mir gesagt, „Wir machen den Raum bereit für eine Ultraschallmessung." Nachdem das erledigt war sagte mir die Radiologin, dass die Schwellung „beunruhigend" sei und erklärte mir, warum. Aber ich versuchte, mich nicht zu beunruhigen, „Vernunftschlüsse zu zerstören..." und alles. Das wurde mir zu meinem Schlagwort. Sie vereinbarte für mich eine Biopsie am selben Nachmittag und eine Kernresonanzuntersuchung am nächsten Tag. Ich ging heim um zu warten - und zu beten.
Und dann wurde ich rasch in einen Strudel von Arztterminen und Entscheidungen und Vorbereitungen hineingestoßen. Einige Tage, nachdem ich die Schachtel zur Seite gelegt hatte, wagte ich mich ins Internet und sah mir mutig Bilder nach der Brustentfernung an. Ich zog die weiße Schachtel unter dem Bett hervor und schaute die DVD mit ihren Geschichten anderer Frauen an, die Krebs hatten. Wieder überkamen mich der Brechreiz und das Gefühl, dies sei nicht wirklich. Erschüttert und voll Angst rief ich meine Freundin an. Ich erzählte ihr, was ich gesehen hatte, und von meiner Angst und meinem Unwillen, durch irgendetwas davon zu gehen. Gütig erinnerte sie mich daran, dass der Herr Stärke für diesen Tag gibt (Matthäus 6,34), und dass zusammen mit dem Zerstören von Vernunftschlüssen und jeden Gedanken gefangen zu nehmen (2 Korinther 10,5), für uns gilt „Sorgt euch um nichts; sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden. Und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus" (Philipper 4,6-7)
All dies wusste ich. Ich hatte die ganze Zeit versucht, all diese Dinge zu verbinden, aber aus irgendeinem Grund war ich nicht in der Lage gewesen, die wirkliche Bedeutung zu erfassen, wie sie auf meine Umstände passten. Hatte ich nicht bereits Krebs? Es war nicht länger eine eingebildete Vorstellung, sondern Wirklichkeit. Die bevorstehende Operation und all das, was ich von dem, was folgen würde, gesehen hatte, standen unmittelbar bevor. Aber mit ihren Worten hatte mich meine Freundin plötzlich an etwas erinnert, das ich vergessen hatte. Ich konnte die Schrift nicht einfach als eine Formel anwenden, um das zu verleugnen, was ich bereits als Wahrheit wusste. Diese Ereignisse sollten kommen, aber sie waren noch nicht da. Ich konnte nicht die Gnade Gottes an mich reißen, die für diese Momente ausgegossen würde, bis ich in diesen Momenten war. Ich musste mich daran erinnern, in dem „Jetzt" mit dem Herrn zu leben. Und plötzlich hatte ich Frieden. Ich konnte an dem Ort ruhen, wo mich der Herr genau dann hatte, und nicht auf das schauen, was voraus lag. Gott war endlich zu mir durchgedrungen.
Am Morgen meiner Operation lenkte mich der Herr zu Römer 12,1: „Ich ermahne euch... dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: das sei euer vernünftiger Gottesdienst!" Diese Verse hatte ich immer so verstanden, „bringt euer Leben, eure Werke, eure Güter dar". An diesem speziellen Morgen schlugen die Worte eine andere Saite an: „dass ihr eure Leiber darbringt...." Konnte ich das tun? Konnte ich in diese Operation gehen, nicht mit Gewalt hingeschafft oder durch die Umstände gezwungen, sondern im Vertrauen, dass der Herr mich dahinein führte? Konnte ich Ihm bereitwillig meinen Leib geben, egal was voraus liegen mag?
Als ich im Vorbereitungsraum vor meiner Operation saß, plauderten meine beiden Töchter und ich, während zahlreiche Schwestern und Angestellten rein und raus gingen, und verschiedene Aufgaben erledigten. Wir beteten zusammen, und dann eskortierte der Anästhesist mich in den Operationssaal. Ich musste laufen und den Tropf hinter mir her ziehen, und als ich das tat, stellte ich mir Abraham und Isaak vor, wie sie den Hügel zu einem unvorstellbaren Ereignis hinaufstapften, doch voll Vertrauen auf die Güte Gottes. Im OP kletterte ich auf den Tisch und legte mich hin. Einen kurzen Moment lang, bevor all meine Wahrnehmung sich in der von Medikamenten herbeigeführten Dunkelheit auflöste, stellte ich mir vor, wie ich auf dem Altar vor meinem Vater lag, dem ich vertraute und den ich genau in diesem Augenblick grenzenlos liebte.
Danach war ich verblüfft zu entdecken, wie tief und breit Gottes Gnade ist. Die Panik, die ich zuvor verspürt hatte, als ich auf die Bilder schaute und genau an diesen Moment im Voraus dachte, konnte ich nirgendwo finden. Unbehagen? Ja. Eine hässliche Narbe? Das steht außer Frage. Aber über all diesen „leichten Betrübnissen" herrschte ein so unglaublicher Friede, dass er mir immer noch Ehrfurcht einflößt. Die Güte des Herrn in seiner Sorge für mich, in Seiner Vorkehrung für den besten Arzt in jeder Lage, im Angebot meiner Freundin (einer eingetragenen Krankenschwester), zu kommen und mehrere Tage nach der Operation bei mir zu bleiben, durch die Liebe meiner Kinder, wenn sie anriefen und mich besuchten, in den Gebeten und Mahlzeiten meiner Freunde, und vor allem in der Erkenntnis, dass ich mit meinem ganzen Herzen wusste, dass ich Jesus gehörte, Leib und Seele. Ich hatte herausgefunden, dass Seine Gnade für jedes Bedürfnis genügt und dass er sie jeden Augenblick gewährt. Seine Absichten sind Seine eigenen - ich muss nicht in Frage stellen, was Er tut.
Bin ich geheilt? Ich weiß es nicht. Die Prognose ist gut, aber der Onkologe sagt, die Krankheit könne jederzeit irgendwo anders wieder ausbrechen. So nehme ich die Medizin, die mir angeblich helfen soll, das zu verhindern, aber ich vertraue nicht in Medizin oder Ärzte oder mich selbst. Ich vertraue dem Herrn, dass, egal was in der Zukunft liegt, Seine Gnade und Stärke für mich genau in dem Augenblick da sein wird, wenn ich sie benötige! Und jenseits all dessen, diese „unsere Bedrängnis, die schnell vorübergehend und leicht ist, verschafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit" (2 Korinther 4,17). Wer könnte etwas Besseres als das verlangen? Ich will diesen Schriftvers in die weiße Schachtel unter meinem Bett tun.